Wo soll ich anfangen? Wer meine Krankheit und ihre Symptomatik kennen lernen will, kann sich ja einfach den Wikipedia-Artikel durchlesen. Tut das bitte nicht. Er klingt erschreckend und gibt einen rein schulmedizinischen Überblick, der mich in meinem Leben nicht weiterbringen konnte.
Mit 14 kam mir erstmals der Verdacht, dass es sich bei den schrecklichen Schmerzen in meinen Kniekehlen, welche mich beinahe jede Nacht wach hielten, nicht um „Wachstumsschmerzen“ handeln könnte – denn ich wuchs nicht mehr.
Mit 15 dachte ich eine Weile lang, ich sei depressiv. Ich fühlte mich über Wochen hinweg unerträglich schwach, war müde und schlapp, absolut antriebslos. Doch eines Tages fiel mir ein Glas Oliven aus der Hand, ich konnte nicht einmal mein Wasserglas vom Tisch heben und machte mir Sorgen. Erstmals ging ich freiwillig zum Arzt – das umfangreiche Blutbild ergab nichts. Meine Großmutter meinte daraufhin in einem besorgten Tonfall: „Dann ist es Fibromyalgie.“ Ich wusste nichts über diese dubiose Krankheit an welcher sie litt – abgesehen davon, dass sie oft Schmerzen hatte, ähnlich wie bei Rheuma, weshalb Fibromyalgie (wörtlich „Faser-Muskel-Schmerz“) auch „Weichteilrheuma“ genannt wird.
Nachdem scheinbar kein akuter Handlungsbedarf bestand, unternahm ich nichts. Lebte einfach mit den Schmerzen, mit der Schwäche und verdrängte, dass irgendetwas nicht stimmen könnte.
Zwei Jahre später traten neue Probleme auf: Ein plötzlich einschießender Kopfschmerz, stark und mit merkwürdigem Kribbeln im unteren Rücken verbunden. Eines Abends wurden sowohl mein Arm als auch die Hälfte meines Gesichtes taub. Ich bekam Angst.
Der Neurologe fand keinen offensichtlichen Grund für dieses Phänomen und meinte: „Entweder es ist Migräne oder etwas am Gehirn.“ Ich entschied mich für Migräne. Erneut unternahm ich nichts.
Ein weiteres Jahr verging, ich machte mein Abitur und begann mein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Jugendzentrum. Erstmals arbeitete ich acht Stunden am Tag, bewegte mich ununterbrochen und hatte täglich mit starken Schmerzen zu kämpfen. Zwar nahm ich aus diesem Grund bereits Schmerzmittel ein, war dennoch alles andere als arbeitsfähig. Daher sah ich mich gezwungen, dieser Fibromyalgie-Sache auf den Grund zu gehen, um hoffentlich Hilfe zu bekommen.
An der Münchner Universitäts-Klinik wendete ich mich direkt an die entsprechende Abteilung, wurde ausgefragt und getestet, letztendlich tatsächlich mit Fibromyalgie diagnostiziert. Plötzlich hatten all meine gesundheitlichen und psychischen Probleme einen Grund. Sowohl depressive Verstimmungen als auch Migräne seien Symptome des Syndroms, überdies extreme Druckempfindlichkeit.
Diese Erkenntnis veränderte mein Leben. „Soll das etwa heißen, dass es anderen Leuten nicht weh tut, zu sitzen?“, fragte ich meine Freunde, „Also ihr setzt euch auf einen Stuhl und der drückt euch nicht sofort total unangenehm?“ Nein. Alles, was ich für normal gehalten hatte, schien es gar nicht zu sein. Ich verstand, wieso ich wann immer möglich im Schneidersitz saß (bessere Verteilung des Gewichts) und wieso ich bei Schnitt- oder Schürfwunden überaus tapfer zu sein schien, bei einfachem Boxen gegen den Oberarm aber noch Minuten danach vor Schmerz das Gesicht verzerrte.
In der Klinik hatte ich zum Einen Yoga verordnet bekommen, zum Anderen die Einnahme von Schmerzmittel um das sogenannte Schmerzgedächtnis nicht zu belasten. „Trinken Sie Alkohol?“ - „Ja, schon“ (und wie!!) - „Dann nehmen Sie besser Ibuprofen und kein Paracetamol. Das geht nämlich auf die Nieren und nicht auf die Leber...dann haben wir mehr Zeit.“
Ja, das waren die Aussichten – mehr Zeit bis zum Organschaden das höchste Ziel. Ich war 18 Jahre alt, Alkoholikerin und spülte mein Schmerzmittel mit Wodka herunter.
An manchen Tagen waren die Schmerzen so schlimm, dass ich keine Kleidung ertrug. Sogar die Luft auf meiner Haut tat weh. Was sollte ich tun? Zu liegen bedeutete mehr schmerzende Fläche, dafür besser verteilt als wenn ich stand. Das Schmerzmittel half nicht viel, meine ganze Existenz tat weh.
Zwei Jahre später, enttäuscht von der Schulmedizin, besuchte ich einen homöopathischen Augendiagnostiker. Nachdem er meine Augen betrachtet hatte, nannte er mir all meine Symptome – ohne jedoch das Wort „Fibromyalgie“ zu erwähnen. „Also das sehe ich. Und nun sagen Sie mir mal, weshalb sie hier sind.“ Es stellte sich heraus, dass er nicht an das Syndrom glaubte. Es seien Lymph- und Schilddrüsenprobleme, darüber hinaus ein empfindliches Nervensystem, welchem er auch meine depressiven Verstimmungen zuschrieb. Tatsächlich lassen sich alle Symptome der Krankheit diesen Ursachen zuordnen, tatsächlich half mir auch die von ihm verschriebene Medizin, war jedoch auf Dauer zu teuer.
An dieser Stelle möchte ich meine Krankheitsgeschichte unterbrechen und gerne zu einem anderen Zeitpunkt fortführen. Denn sicher denkt ihr: „Wie? Der glaubt an Homöopathie aber nicht an diese Krankheit?“ Leider war das Syndrom lange tatsächlich eine Glaubensfrage. Denn es kann lediglich durch das Ausschließen anderer Krankheiten diagnostiziert werden, kombiniert mit den Auskünften der Patienten („Haben Sie Schmerzen wenn Sie in ein Auto einsteigen?“ - „Haben das nicht alle?“) und einem Schmerzempfindlichkeitstest. Manche Ärzte sind der Meinung, die Schmerzen seien sich physisch äußernde Depressionen, andere meinen, dass die Depressionen vom ständigen Schmerz hervorgerufen werden. Legitime Ansichten, welche die Existenz des Syndroms als solches mit Schmerz und Depression als Symptomatik infrage stellen.
Nachdem etwa zwei Prozent der Bevölkerung von der Krankheit betroffen sind, wird jedoch viel geforscht und immer wieder zu neuen Erkenntnissen gelangt. Ist die Ursache auch nach wie vor unklar, konnte man inzwischen immerhin beweisen, dass der Schmerz von den Patienten nicht subjektiv als stärker bewertet wird, sondern die Reize tatsächlich anders verarbeitet werden.
Ob es nun an den Nerven liegen mag oder erst im Gehirn fehlinterpretiert wird: Trage ich eine Sonnenbrille, versteht mein Körper darunter sieben Sonnenbrillen. Sitze ich auf einem Stuhl, drückt das siebenfache meines Körpergewichts auf die Sitzfläche und boxt mich jemand leicht in den Arm, tut er das für mich eben siebenmal.
Wie sich mein eigenes Bild von dieser Krankheit im Laufe der Zeit gewandelt hat, wie ich damit umgehe und lebe, möchte ich euch auch noch erzählen. Insbesondere wie ich es schaffe, meinen Zustand trotz dieser schubweise verlaufenden, chronischen und unheilbaren Krankheit zu verbessern, werde ich euch berichten.
Dies war meine kleine Einführung in ein Thema, mit welchem ich täglich beschäftigt bin – ob ich will oder nicht.
Falls es euch interessiert, bleibt dran. Es gibt Hoffnung.
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