Die Wahrheit über Cannabis-Konsum.
Frühmorgens sitzen wir drei in meinem Zimmer. Nach der Arbeit, also nach Schließen des Nachtclubs sind wir hierher gefahren und Umwege durch den strömenden Regen gerannt, weil ich noch nicht lange hier wohne und die falsche Trambahn-Station als Ausstieg gewählt hatte. Egal. Jetzt lachen wir. Meinen einzigen Dollarschein habe ich auf ein Blatt Papier geklebt und B. soll Mr. Crabs dazu malen - „mein erster Dollar“ steht ja schon daneben. Überhaupt habe ich es stoned mit dem Dekorieren und kichere mich kaputt, weil der ausgeschnittene Zeitschrifttyp aussieht, als würde er gehen und direkt neben meinem geklauten Straßenschild „Fußgängerweg – Befahren verboten“ klebt. Bravo, Elisabeth.
Aber auch:
O. hat hier übernachtet und wir rauchen auf der Dachterrasse. Lümmeln auf Liegestühlen in der Mittagssonne herum, bis ich zum Seminar aufbrechen muss. Hab mehr erwischt, als gedacht. Verdammt. Das Referat läuft nicht so gut, wie es sollte. Ich merke, dass mein Dozent mich hasst. Egal, ich überstehe es irgendwie.
Aber auch:
Ich warte auf den Rest meiner Band an der S-Bahn-Station. Offiziell fängt meine Geburtstagsparty gleich an und ich werde zu spät im Club auftauchen, weil ich nicht schnell genug gerannt bin. Dafür kann ich jetzt einen rauchen und mit den anderen zusammen fahren. Als Prinzessin verkleidet, weil ich meine Weiblichkeit viel zu lange unterdrückt und nie einen Prinzessinnen-Geburtstag gefeiert habe. Auf dem gesamten Weg wundere ich mich über die Blicke sämtlicher Passanten. Hab ich was im Gesicht? Ach nein – ein Krönchen auf und bunte Plastiksträhnen in die Haare gesteckt. Total vergessen, haha.
Aber auch:
Die Security-Dame will mich vom Festivalgelände schmeißen, weil ich vor der Bühne zusammengeklappt bin. Pralle Sonne und Bier auf leeren Magen waren so schon keine gute Kombination. Das Gras habe ich Gott sei Dank jetzt geraucht – rechtzeitig vor Iggy Pops Auftritt, um bis dahin wieder fit zu sein. Nun kauere ich da in der ersten Reihe, angeblich grün im Gesicht und kurz vor der Ohnmacht. Die Dame fragt sich und mich, was ich genommen habe, befürchtet einen Fall für die Sanitäter. Wie soll ich ihr erklären, dass ich bloß Kreislaufprobleme habe? Lediglich Gras geraucht, also kein Grund zur Sorge? „Alles gut“, perlt in Zeitlupe aus meinem Mund, „ich bin nur sehr, sehr müde.“ Das wird sie mir nicht abkaufen, soll sie auch gar nicht. Tatsächlich versteht und verlässt sie mich. Glück gehabt.
Aber auch:
Ich sitze vor einer Almhütte und lasse mir die Mittagssonne auf den Körper scheinen. Die Schuhe habe ich ausgezogen, meine Füße pochen, glühen, schmerzen von der Wanderung. Ich höre Schandmaul „Ich wär so gern ein Sonnenstrahl“. Der Klang trägt meine Seele mit sich, hoch über Baumwipfel dieser Berge bis in den blitzblauen Himmel. Ich inhaliere das würzige Kraut, spüre die raue, sonnenwarme Holzwand in meinem Rücken und atme sämtliche Anstrengung aus. Ein kräftiger Luftstoß, vertraute Erleichterung. Das Licht wird heller, das Vogelgezwitscher melodischer, meine Schmerzen lassen nach, die Welt ist groß und freundlich. Ich bin ganz im Moment. Bin ruhig, so ruhig und lebendig.
Aber auch:
Ich müsste die Wohnung schon längst verlassen haben. Bereits seit einigen Minuten bin ich zu spät dran, doch immer noch nicht bereit. Hastig zerkleinere ich das Gras, drehe zwei Spliffs unterschiedlicher Stärke und versuche, mir zu merken, welcher für vor den Auftritt und welcher für den Feierabend ist. Einpacken und schnell los. Ich hasse mich dafür, ständig zu spät zu kommen. Doch das ist eine Situation, die sich ausbügeln oder in Grenzen halten lässt. Mal wieder habe ich den ganzen Tag nichts gegessen – dafür war nun wirklich keine Zeit. Mal wieder ist das wichtigste, nur in dieser einen Hinsicht ausreichend versorgt zu sein.
Aber auch:
Eigentlich habe ich mich ins Bett gelegt, um mir irgendeine Serie anzuschauen. Doch kommt mir ein guter Gedanke, vielleicht geeignet, um daraus einen Text zu basteln. Ich will ihn kurz notieren und verrenke mich auf dem Bett liegend, um in meinen Laptop zu tippen. Zwei Stunden später und ich habe einen kompletten Slam-Text verfasst. Ich überarbeite in nicht, trage ihn deutschlandweit vor und gewinne damit Wettbewerbe.
Aber auch:
Er weckt mich, als er mein Schlafzimmer betritt und fragt, ob ich wieder einfach eingepennt bin. Ja. Der Laptop läuft irgendwo neben meinen Füßen. Ich liege unter der Daunendecke vergraben und habe auf die Weise eine Winternacht bei geöffnetem Fenster überlebt. Das Zimmer ist komplett ausgekühlt. So sehr, dass sich auch Stunden später noch das Parkett unter meinen Füßen eiskalt anfühlt. Meine Zähne hatte ich nicht geputzt, an meinem Rücken klebt ein Kaugummi, ein ganz normaler Morgen.
Aber auch:
Ich sei immer so egozentrisch und faul. Würde unterbrechen oder so lange reden, bis wirklich keiner mehr zuhören wolle. Würde nie helfen, nur herumlungern. All das sagt er mir, lieb gemeint und doch verletzend. Bin ich wirklich so schlimm? Später, als ich clean bin, stellen wir fest: Ich bin es nicht. Obwohl wir jahrelang zusammen wohnten, hat er mein Verhalten falsch eingeschätzt. Es war lediglich mein bekifftes Verhalten, auf das sich seine Kritik bezog. Doch bekifft war ich zugegebenermaßen rund um die Uhr.
Aber auch:
Egal, wie stark die Schmerzen auch sind, sie verschwinden. Alles wird bunter, heller, köstlicher, rührender, tiefgründiger, bedeutungsvoller, lebendiger. Ich bin im Moment, ich bin nicht getriggert, bin kreativ und tanze, als würde mich niemand sehen. All meine Sorgen sind verschwunden, Zeit dehnt und staucht sich – willkürlich, unbedrohlich, machtlos. Ich bin beschwingt, glücklich, mein Körper so leicht, meine Seele frei, das Leben genießbar.
Aber auch:
Die Angst, erwischt zu werden. Die Angst, nicht genug Nachschub oder nicht genug Geld für Nachschub zu haben. Die Angst vor allem möglichen – Panik, Paranoia. Das Vergehen von Monaten ohne Fortschritt, Aktivität und Entwicklung. Das Vernachlässigen von Pflichten, Plänen und sozialen Kontakten. Das Eintauschen von Büchern gegen Comedy Central, das Verstehen von Verschwörungstheorien, das Sieb der Erinnerung. Das Angewiesensein auf die Substanz, um zu funktionieren. Das Rasen von Gedanken, zu schnell um nicht zu entgleisen. Die Trägheit, die Gleichgültigkeit, die Verdrängung. Der Glaube, dass dies das wahre Leben sei.
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