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AutorenbildElisabeth

Feuer und Wasser

Morgens um neun wecken mich Licht und Wärme der Sonne, welche durch das offene Fenster direkt auf mein Gesicht fallen. Wir haben immer noch kein Wasser. Das sagt mir mein Freund, welcher wie üblich schon aufrecht ist und bereits probehalber den Hahn aufgedreht hat, während ich noch meine Augen geschlossen halte, als wollte ich weder dem Tag noch der Wahrheit ins Gesicht sehen. Seit gestern Abend tröpfelt das Wasser in einem derart dünnen Rinnsal aus der Leitung, dass es kaum gereicht hatte, um meine Zahnbürste zu befeuchten. Der eigentliche Vorteil unseres Dorfes, die Trinkqualität des Leitungswassers, wird uns nun zum Verhängnis. Während die Menschen in anderen Gegenden der Insel darauf eingestellt sind, gekauftes Wasser aus Flaschen zu konsumieren, oder Trinkwasser an einer der öffentlich zugänglichen Quellen zu zapfen, haben wir keines auf Vorrat. Auch der einzige Laden im Dorf wurde verständlicherweise geplündert. So fahren wir in den nächsten Ort, erstehen zwölf Wasserflaschen und verwenden beinahe die Hälfte als Klospülung. Ich bekomme Panik, sobald mir kein Trinkwasser zur Verfügung steht. Stets fülle ich mir eine Flasche auf, behalte sie zuhause an meiner Seite und nehme sie selbst auf kürzeste Strecken mit. Ich habe viel Durst. Jetzt ist Sommer und es hat beständig über dreißig Grad, normalerweise würde ich über den Tag verteilt mindestens drei Liter trinken.

Das Wasser kehrt im Laufe des Tages nicht zurück und ich fürchte mich vor dem nächsten Morgen, bis zu welchem uns nur eine Flasche bleibt. Wir waren schwimmen, sind verschwitzt, salzig und voller Sonnencreme, wälzen uns in Laken, welche wir nach der nächsten Dusche sicher wechseln werden. Am nächsten Tag ist das Wasser wieder da – spärlich, aber doch ausreichend um den großen Berg an Geschirr zu spülen, fließt es aus der Leitung. Meine Panik verschwindet, ich bin am Leben.


Wie üblich sonntagnachmittags sitzt die ganze Großfamilie satt auf der Veranda und redet. Hier, am Rande eines größeren Dorfes wohnen die meisten von uns. Wir lachen viel, ärgern uns gegenseitig, dösen und philosophieren. Plötzlich sehen wir Qualm aufsteigen, der Himmel verfinstert sich und Löschflugzeuge sausen tief vorbei. Schnell haben wir den Ort des Brandes im Internet nachgelesen – er ist weit genug weg, um nicht direkt bedrohlich zu sein und nahe genug, um es zu werden. Noch schwanken die Wipfel der Olivenbäume kaum im Wind, doch das ändert sich kurz darauf. Stark weht es nun in unsere Richtung, riecht nach Holzfeuer und verändert die Situation. Hier haben wir unsere Häuser, unsere Felder, unsere Familie und unsere Tiere. Leider ist der Wasserdruck im Sommer so gering, dass auch unsere Gartenschläuche keine Sicherheit versprechen. Es heißt, abzuwarten, aber bereit zu sein. Inzwischen weht es stark und regnet leicht, auf der anderen Straßenseite kann ich durch ein paar Bäume hindurch nur noch Qualm erkennen. Große und kleine Asche-Flocken fallen auf unseren Vorgarten, werden bis zur Haustür gepustet und ich packe meine Tasche. Elektronische Geräte, Geld, Ausweis, Wasserflasche, Drehzeug, eine Bluse zum Überziehen. Ich tausche meine Badeschlappen gegen Socken und Turnschuhe ein – im Zweifel rennen können. Mein einer Bruder hat seinen Rucksack noch schneller gepackt, der andere bringt nur jenen, seine Frau und unseren Großvater in Sicherheit. Ins Haus seiner Schwiegereltern – ans andere Ende des Dorfes. Wir übrigen brauchen länger, um die ältere Generation zum Aufbruch zu bewegen. Doch den Qualm spüre ich bereits in den Augen und auf der anderen Straßenseite stehend höre ich das Holz brennen, brechen, knacken wie ein Lagerfeuer.

Am Ende landen die Frauen aus drei Generationen auf dem Lidl-Parkplatz – wir warten und schnuppern, wir lauschen und lesen die unveränderten Nachrichten. Die Männer bewachen das Haus, als seien sie unverletzlich und fahren später näher ans Feuer, um die Situation zu überprüfen. So erfahren wir, dass die Situation – auch dank des inzwischen starken Regens – soweit unter Kontrolle zu sein scheint, dass wir nach Hause fahren können. Dort sitzen wir wieder auf der Veranda beisammen, wo es nach Holzfeuer und Sommerregen riecht. Wir diskutieren, wir lieben uns und sind am Leben.



Löschhubschrauber

Ich wusste bereits vorher, dass ein Umzug nach Griechenland mich von vielen Menschen und Gepflogenheiten entfernen würde. Ich dachte dabei an den räumlichen Abstand und an Dinge, die aufgrund dessen für mich keine Rolle mehr spielen würden – Hygiene-Regeln, kulturelles Leben und persönlicher Kontakt, all das würde sich in ein anderes Land verlagern. Doch ich entfernte mich anders, als nur räumlich, entferne mich täglich ein kleines Stück weiter.


Ja, auch in Deutschland gibt es Sorgen und Existenzängste, ich kenne das nur zu gut. Doch wenn ich mir anhand von (sozialen) Medien so ansehe, womit sich die Menschen beschäftigen, dann merke ich den Unterschied. Sie haben noch Trinkwasser zur Verfügung, sie haben noch keinen Fluchtrucksack gepackt.

Was ich beschrieben habe, gehört hier zum täglichen Leben und woanders geht es noch schlimmer zu. Ich kann mich nicht mehr über die gleichen Dinge aufregen wie früher. Ich finde nur noch schwer einen gemeinsamen Nenner, ein für beide Seiten relevantes Gesprächsthema.

Die trockene Kehle bei Hitze und das Geräusch des nahen Waldbrandes fühlten sich an wie ein Weckruf. Ich weiß nun wieder, wie verletzlich und endlich ich bin. Vor allem weiß ich, wie wenig ich in Wahrheit brauche: Eigentlich nur Trinkwasser, die Menschen, die ich liebe, und mein wundervoll zerbrechlich zäh andauerndes Leben.

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